5 Thesen zur Entwicklung des Einzelhandels

Retail store with interconnected digital icons coming to the front.
Retail

Die gesamte Handelsbranche musste sich in den letzten Jahren neu formen und teilweise neu erfinden, um auf das veränderte Kundenverhalten und die fortschreitende Digitalisierung zu reagieren. Wir haben uns aufgrund der Entwicklungen der letzten Monate und unserer Projekterfahrung dazu entschieden, die aktuellen Trends zusammenzufassen.

Hannes Gmelin
Hannes Gmelin
Florian Temming
Florian Temming
„Wir sehen unsere Kunden als eingeladene Gäste einer Party, die wir geben. Unsere tägliche Aufgabe ist es, alle Aspekte der Verbrauchererfahrung ein kleines bisschen besser zu machen.“ -Jeff Bezos

Als Antwort auf ein verändertes Kundenverhalten und die fortschreitende Digitalisierung war die gesamte Handelslandschaft in den vergangenen Jahren gezwungen, sich neu zu formieren und teilweise sogar neu zu erfinden. Neue Player und Angebote wie beispielsweise About You oder Outfittery sind in den Markt eingetreten, andere Unternehmen wie Peek & Cloppenburg sind durch veränderte Marktstrukturen deutlich in Schieflage geraten. Alle Einzelhändler dazwischen müssen ihren Platz in der Handelslandschaft tagtäglich neu verteidigen, durch innovatives Denken genau wie durch die Anpassung von Strukturen. Die Entwicklungen der letzten Monate und unsere Projekterfahrungen haben uns dazu veranlasst, die aktuellen Trends und Prioritäten in fünf Thesen zusammenzufassen:

  • - Kunden möchten relevante Erfahrungen machen („meaningful relations“)
  • - Amazon hat gewonnen
  • - Ladengeschäfte müssen inspirieren
  • - Tech first, retail second
  • - Die Innenstadt als Erlebnisort hat noch eine Chance

    KUNDEN MÖCHTEN RELEVANTE ERFAHRUNGEN MACHEN („MEANINGFUL RELATIONS“)

    Welches Produkt kaufe ich und zu welchem Preis? Wozu kaufe ich das Produkt? Welche Emotionen weckt es in mir? Diese Fragen treiben das heutige Konsumverhalten. Die Kunden erwarten neben der Integration von Relevanz, Bequemlichkeit, Nachhaltigkeit und Gesundheit ein durch Digitalisierung, Personalisierung und Gamifizierung abwechslungsreiches Einkaufserlebnis. Je nach Produktkategorie fällt die Kaufentscheidung in Zeiten von Inflation und Konsumzurückhaltung leichter, wenn zusätzlich eine emotionale Bindung zu den Produkten und Werten des Unternehmens besteht.

    Dabei ist die Schaffung eines hyper-personalisierten Einkaufserlebnisses über alle Kanäle hinweg einer der wichtigsten Hebel für Unternehmen, um Kundenerfahrungen über alle Touchpoints hinweg zu nutzen. Dabei sollten Faktoren wie die genaue Beobachtung der Offline-Kundenreise durch In-Store Bewegungsmessung oder App-Nutzung während des Kaufprozesses integriert werden, um alle Kanäle datengesteuert zu optimieren. Auch ein aufmerksamer Blick auf die aktuellen Kunden-Meta-Trends kann dabei überaus hilfreich sein, um sich der Marktsituation möglichst nachhaltig anpassen zu können.

    Ringgrafische Darstellung von Verbrauchstrends für Einzelhandelsgüter.

    AMAZON HAT GEWONNEN

    Das Geschäftsmodell von amazon und anderen Online-Playern zielt darauf ab, bestehende und aufkommende Kundenwünsche in ihrer ganzen Breite zu erfüllen. Die kundenorientierte Innovation steht im Mittelpunkt der Entscheidungen und hat eine nahezu magnetische Wirkung auf Konsumenten. Hinzu kommt, dass sich die Erfolgsfaktoren im Einzelhandel immer weiter in Richtung technische Kompetenz, wie z. B. schnelle und intensive A/B-Tests verschoben haben.

    E-Commerce befindet sich weiterhin auf dem Vormarsch und wird auch in Zukunft eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung der Handelslandschaft spielen. Unternehmen wie amazon treiben diese Entwicklung und profitieren fortlaufend von der Erhöhung des Online-Anteils. Für die restlichen Einzelhändler bedeutet das, dass eine messerscharfe Positionierung erforderlich ist, um mit den etablierten Plattformen mithalten zu können. Um weiterhin Erfolg zu haben, gilt es für die Einzelhandelsunternehmen, eine passende Nische mit mittelfristigem Potenzial zu finden.

    Das Wachstum des Online-Anteils findet quer über alle Branchen statt. Prognosen zeigen, dass bis 2025 ein Zuwachs des Consumer Anteils um 38 % stattfinden wird, wobei die Erwartungen für die prozentual größte Zunahme im Bereich Lebensmittel und Getränke liegen (wenn auch auf sehr kleiner Basis).

    Doppeltes Ringdiagramm zur Gegenüberstellung globaler Online- und Offline-Einzelhandelsumsätze kategorisiert nach Produktgruppen für die Jahre 2021 und 2025.

    LADENGESCHÄFTE MÜSSEN INSPIRIEREN

    Der stationäre Handel ermöglicht es den Kunden, vor Ort Produkte zu erleben und zusätzliche Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen, z.B. Beratung, Reparatur oder Umtausch. Die Geschäfte dienen außerdem als Inspirationsquelle für die Konsumenten. Unternehmen tätigen umfangreiche Investitionen wie Flagship Stores, um den Ansprüchen der Kunden gerecht zu werden. Gerade kleinere Läden oder Boutiquen abseits der großen Einkaufszentren haben sich damit treue Kunden erarbeitet.

    Damit sich diese Kosten lohnen, sollte der Kaufprozess möglichst mit einer erfolgreichen Transaktion abgeschlossen werden, im Geschäft oder online. Doch nicht immer kommt es zu solch einem Abschluss. Konsumenten sehen vor Ort Produkte, die ihnen gefallen, kaufen diese jedoch online bei einem anderen Anbieter. Neben der Einhaltung eines gefühlten maximalen Preis-Deltas offline versus online muss der Einzelhändler das Einkaufserlebnis so optimieren, dass möglichst häufig eine erfolgreiche Transaktion den Kaufprozess abschließt. Eine Verbindung der Online- und Offline-Services während des Besuches in einem Geschäft ist dabei unumgänglich.

    Hinzu kommt, dass Transaktionen zunehmend über das eigene Mobiltelefon des Konsumenten abgewickelt werden – im Extremfall auch im günstigen Onlineshop während man im stationären Geschäft die Ware ausprobiert. Die Verwendung von QR-Codes zum Abrufen produktspezifischer Informationen oder die Integration von Augmented Reality in den Kaufprozess sind vielversprechende Möglichkeiten, das Kundenerlebnis abwechslungsreich und animierend zu gestalten. International gibt es dafür auch bereits interessante Beispiele.

    Ringgrafische Darstellung der Smartphone-Verwendung im deutschen stationären Einzelhandel.

    TECH FIRST, RETAIL SECOND

    m Handel agieren ganz unterschiedliche Unternehmen: klassische Händler, E-Commerce Anbieter, aber auch Tech-Unternehmen wie beispielsweise amazon. Es ist die letzte Gruppe, die heute den Markt mit ihren Angeboten vor sich hertreibt. Damit traditionelle Einzelhändler in diesem erlebnis- und beziehungsorientierten Umfeld erfolgreich sind, müssen sie ebenfalls die zugrunde liegenden Technologien für sich zu nutzen wissen. Ein direkter Zugang zu Fähigkeiten wie der Nutzung biometrischer Daten, der Anwendung von Data Science und der Umwandlung der gewonnenen Erkenntnisse in wertvolle Kundenservices ist dabei essenziell, um die Verlagerung vom transaktionalen zum relationalen Handel mitgestalten zu können. Unterstützend können bei dieser Transformation Dienste von Serviceanbietern in Anspruch genommen werden.

    Seit einigen Jahren entwickeln sich nun kontinuierlich Start-ups entlang der Customer Journey wie beispielsweise Syte, ein Anbieter visueller KI-Technologien, der vor allem bei der Produktentdeckung durch den Konsumenten unterstützend tätig wird. Solche Angebote können jedoch nur genutzt werden, sofern in den Einzelhandelsunternehmen Innovations- und Restrukturierungsbereitschaft besteht. Andernfalls ist im Regelfall nicht die nötige Infrastruktur gegeben, digitale Möglichkeiten für differenzierte Services zu implementieren.

    Visualisierung der optimierten Einzelhandelskundenreise durch Pfeil-Fortschrittsbalken.

    DIE INNENSTADT ALS ERLEBNISORT HAT NOCH EINE CHANCE

    Nicht nur der stationäre Handel findet in Innenstädten seinen Platz. Neben den Geschäften bündeln sich in den urbanen Zentren Büros, Kulturangebote, Restaurants, öffentliche Räume sowie zunehmend Wohnraum. Doch nach dem Niedergang von Karstadt und vielen weiteren Freiflächen ist die Zukunft des Einkaufsziels Innenstadt so unklar wie nie zuvor. Damit noch eine Chance besteht, das innerstädtische Shopping neu zu erfinden und zu verbessern, müssen sich unter anderem die ansässigen Einzelhändler weiterentwickeln. Entscheidend ist, dem Konsumenten weiterhin ausreichend Anreize zu bieten, in die Geschäfte zu kommen.

    Es gibt diverse Ansätze, die Innenstädte moderner, nachhaltiger und effizienter zu gestalten, um den Konsumenten nicht zu verlieren. Die Schaffung eines Erlebnisraumes, den es in dieser Form nur in der Innenstadt gibt, steht dabei im Mittelpunkt. Wir sehen das Potenzial dazu im Aufbau inspirierender, kundenfreundlicher und intelligenter Einkaufslösungen wie beispielsweise die Erleichterung des Fitting-Prozesses durch „Digital Twin“ Lösungen, die zum einen Omnichannel-Logistik umfassen und zum anderen Dienstleistungen auf einer Mehrkanalebene integrieren. So könnte der Handel z.B. vorab durchgängig Informationen zur Warenverfügbarkeit bereitstellen oder zusätzlich zu Verkaufsflächen ein Netz von Paketstationen mit attraktiven Öffnungszeiten anbieten.

    Balkendiagramm zur Hervorhebung der Relevanz von Dienstleistungen im Einzelhandel für Kunden.

    So what?

    - Customer First mit Hilfe von Daten: Datengewinnung und innovative Analysen werden in Bezug auf die Erfüllung der Kundenbedürfnisse weiter an Bedeutung gewinnen. Richtig genutzt, können sie signifikant zur Kundenbindung beitragen. Für Omni-Channel-Händler ist der Schlüssel hier das optimale Zusammenführen von online und offline, wobei im besten Falle ein Plattform Business bestehend aus Ladengeschäften, Onlineshop und Marktplatz entsteht. Einige Händler nutzen heute z.B. schon intensiv die Möglichkeiten von Retail Media, über die Kundenkontakte zusätzlich genutzt werden können. Unter dem Leitsatz Customer First, verfügt der stationäre Handel über Vorteile gegenüber reinem E-Commerce.

    - Klare Positionierung im Omni-Channel Umfeld: E-Commerce ist und bleibt in Zukunft hochgradig relevant. Diese Veränderung in der Handelslandschaft bedeutet, dass eine eindeutige Positionierung von höchster Relevanz ist. Eine zielgerichtete Umstellung des Geschäftsmodelles in Richtung Omni-Channel-Retailing ist eine Möglichkeit, dem gerecht zu werden. Aber auch andere Positionierungen können vielversprechend sein, wenn sie konsistent umgesetzt werden. Darunter fallen beispielsweise Szenarien, in denen sich der Händler auf den ausschließlichen Online-Vertrieb von Produkten konzentriert und diese deutlich günstiger als die Konkurrenz anbietet.

    - Inspiration auf dem Stadtbummel: E-Commerce ist und bleibt in Zukunft hochgradig relevant. Diese Veränderung in der Handelslandschaft bedeutet, dass eine eindeutige Positionierung von höchster Relevanz ist. Eine zielgerichtete Umstellung des Geschäftsmodelles in Richtung Omni-Channel-Retailing ist eine Möglichkeit, dem gerecht zu werden. Aber auch andere Positionierungen können vielversprechend sein, wenn sie konsistent umgesetzt werden. Darunter fallen beispielsweise Szenarien, in denen sich der Händler auf den ausschließlichen Online-Vertrieb von Produkten konzentriert und diese deutlich günstiger als die Konkurrenz anbietet.

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